Die Vorstellung, vergewaltigt zu werden und der Wunsch, vergewaltigt zu werden, haben nur selten etwas miteinander zu tun – im Gegenteil.
Vielen Dank für das Interview an Phoebe Baumann von VICE!
Warum Frauen Vergewaltigungsfantasien haben
Febr. 27 2018,
Sexuelle Fantasien tun uns gut. Sie lassen uns unsere Sexualität erforschen, machen unser Liebesleben erfüllender und geben uns was zu tun, während wir auf die nächste Staffel Game of Thrones warten. Die einen kommen zu ihrem Höhepunkt, indem sie sich als Hund verkleiden und mit ihrem Herrchen Gassi gehen, die anderen stehen auf Sex mit Dämonen.
Und dann gibt es da auch noch Fantasien, über die wir uns weniger leicht amüsieren und vor allem über die wir viel seltener sprechen können – selbst nach ein paar Spritzern im Freundeskreis. Fantasien über Vergewaltigung oder sexualisierte Gewalt zum Beispiel.
Eine Studie der University of North Texas, die im Journal of Sex Research veröffentlicht wurde, bestätigt, dass genau diese Fantasien aber deutlich häufiger vorkommen als man glauben würde: 62 Prozent der befragten Frauen gaben dort an, Vergewaltigungsfantasien zu haben. Im Vergleich zur Studie aus dem Vorjahr, ist diese Zahl auffallend gestiegen. Damals gaben nur 31 bis 57 Prozent der befragten Frauen an, Vergewaltigungsfantasien zu haben.
Forscher_innen vermuten, dass die tatsächliche Zahl noch viel höher ist, weil sich viele Frauen immer noch schämen, ihre Vorlieben zuzugeben. Erst recht dann, wenn sie in der echten Welt Übergriffe erlebt haben und sich deshalb umso stärker für ihre Fantasien rechtfertigen müssen, so die Forscher_innen.
Frauen werden für ihre sexuellen Wünsche geshamet
Manchen Frauen werden ihre Fantasien vorgeworfen. Da wäre zum Beispiel der Fall des MMA-Kämpfers „War Machine“, der seine Freundin sexuell missbraucht und sie so stark misshandelt hat, dass er ihr mehrere Knochen brach. Als wäre das nicht schlimm genug, versuchte seine Verteidigung im Verfahren auch noch, ihr die Schuld dafür zu geben. Schließlich habe sie ihm von ihren Vergewaltigungsfantasien erzählt, hieß es vor Gericht.
Ironischerweise schätzt unsere Gesellschaft Frauen für ihre sexuelle Begehrlichkeit und beschämt sie gleichzeitig für ihre sexuellen Wünsche. Dieses Slut-Shaming war beispielsweise auch gegenüber Jennifer Lawrence zu erkennen, als Nacktfotos von ihr geleaket wurden, oder im Fall des Pornodarstellers James Deen, der auf Vergewaltigungsvorwürfe seine Kolleginnen reagierte, indem er – ebenso wie mehrere seiner Fans im Netz – ihnen vorwarf in der realen Welt genau so brutalen Sex zu mögen, wie vor laufender Kamera.
Selbst im 21. Jahrhundert sei diese Denkweise noch tief in uns verankert. In vielen Fällen verstärke eine christliche Erziehung zusätzlich das Schamgefühl bei Frauen. „Es gibt außerdem auch Männer, die nicht wollen, dass die Frau den Ton angibt. Entweder tun sie sich dann schwer, sie zu begehren, oder sie haben Angst“, erläutert die Expertin. Männer haben es laut Claudia Wille gar nicht nötig, wie Frauen zu fantasieren, da sie ihre Gelüste einfach in der Realität ausleben können.
Warum haben Frauen Vergewaltigungsfantasien?
Die Verhaltenstherapeutin Nicole Kienzl, die sich auf Sexualtherapie spezialisiert hat, erklärt im Interview mit VICE, dass Vergewaltigungsfantasien vor allem eines zeigen: den Wunsch, begehrt zu werden – und natürlich nicht das Verlangen nach Umsetzung. Die Vorstellung, ein Mann stelle jeglichen rechtlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen hinten an, um einen hier und jetzt zu nehmen, könne demnach eine gewisse Lust bergen, so Kienzl. „Außerdem gibt eine solche Fantasie einem die Möglichkeit, zwar in der Rolle des Opfers zu sein, aber dennoch die Kontrolle zu behalten.“ Man sei demnach die Regisseurin im eigenen Kopf, die damit auch ihre eigene Angst spielerisch durchexerzieren könne.
Das gilt für Frauen, denen sexualisierte Gewalt angetan wurde, genauso wie für die, die nie davon betroffen waren. Für erstere kann die Fantasie jedoch eine zusätzliche Funktion haben: Frauen, die tatsächlich vergewaltigt wurden, hätten laut Kienzl die Möglichkeit, durch ihre Fantasien ihre schrecklichen Erfahrungenzu verarbeiten. „Es kann der Versuch sein, sich mit der Gewaltsituation zu konfrontieren und für sich erträglicher zu formen.“
„Viele gehen davon aus, dass eine Vergewaltigungsfantasie bedeutet, dass man tatsächlich vergewaltigt werden will.“
Wer also denkt, dass eine Fantasie immer ein innerer Wunsch nach dem Ausleben im Alltag ist, irrt. „Viele gehen davon aus, dass eine Vergewaltigungsfantasie bedeutet, dass man tatsächlich vergewaltigt werden will. Das ist eine gefährliche Schlussfolgerung, weil das bedeuten würde, dass Vergewaltigung gerechtfertigt werden kann, solange Frauen über Vergewaltigung fantasieren“, sagt Wille. Fantasien wären von vornherein dazu gedacht im Kopf zu bleiben, während Wünsche manchmal tatsächlich gelebt werden.
Und selbst, wenn ein Wunsch nach realer sexueller Unterwerfung besteht, gebe es die Möglichkeit, diese Fantasie durch Rape-Games auszuleben, sagt die Expertin Kienzl. Diese Nachstellung von Vergewaltigung auf einvernehmlicher Basis kann auf unterschiedlichen Foren ausgemacht oder mit den Partnern ausgelebt werden.
Die Bilder, die uns täglich medial vermittelt werden, lassen uns aber häufig an solchen Gedanken und Fantasien zweifeln. In der vorherrschenden Popkultur werden Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt immer noch häufig auf komplexe und beunruhigende Weise romantisiert – zum Beispiel bei Filmen wie Beauty and the Beast, Fifty Shades of Grey, Last Tango in Paris, oder The Revenant.
Gleichzeitig wird meistens nicht darüber gesprochen, worin der Reiz an diesen Szenen besteht. Aber während die oben genannten Filme sexualisierte Gewalt aus der Sicht des Mannes zeigen und meistens die Auswirkungen der Situation auf die Frau ignorieren, sind Fantasien einerseits ein Ausdruck von Ermächtigung und andererseits ein Ventil, damit Frauen Vergewaltigung aus ihrer eigenen Sicht erleben und somit eine beängstigende Situation besser kontrollieren können.
Fantasien sind eine Flucht aus dem Alltag
Weshalb Szenen, die im realen Leben grausam wären, im Film eine gewisse Erotik versprühen, liegt laut Expertin Wille unter anderem daran, dass Lust und Angst oft eng miteinander verbunden seien. „Solange die Angst nicht stärker ist als die Lust, gibt uns die Mischung dieser Gefühle einen gewissen Kick“, so Wille. Unsere Lust an gewalttätigen Szenen komme gerade deshalb zustande, weil wir dabei keiner realen Gefahr ausgesetzt seien.
Gleichzeitig müssen solche Fantasien über Dominanz und Unterwerfung nicht immer tiefenpsychologische Ursachen und Bedeutungen haben, sondern können auch lediglich eine Flucht aus dem Alltag sein. Wie die Verhaltenstherapeutin Kienzl ergänzt, steht die angestrebte Gleichstellung der Geschlechterkeinesfalls im Widerspruch zu einer Asymmetrie von Macht und Dominanz im Bett. Beides könne auch dazu dienen, um Erotik entstehen zu lassen.
So oder so: Nichts davon ist eine Ausrede für reale Übergriffe. Und dass eine „sichere“ Simulation ohne reale Gefahren für einige Frauen nach wie vor nötig ist, um mit sexualisierter Gewalt spielerisch umgehen zu können, zeigt einmal mehr, wie viel Aufarbeitung wir im Hinblick auf den Umgang mit Übergriffen in unserer Gesellschaft noch zu leisten haben.