Danke für das Interview und den schönen Artikel an Marlene Patsalidis!

Was bringt sexuelle Aufklärung im Netz?

Kurier
Immer mehr Teenager informieren sich im Internet über Sex.
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Das Internet als Spielwiese der Sexualität hat im vergangenen Jahrzehnt immens an Bedeutung gewonnen. Doch was bedeutet das für die heranwachsende Generation? Die Expertensicht.

„Hallo ihr Lieben, lasst uns über Selbstbefriedigung reden!“, so oder so ähnlich kann es klingen, wenn Laci Green auf Youtube über Sex vloggt. Das Erste was bei Greens Videos ins Auge fällt sind die schrillen Farben, die schnellen Bildschnitte, die zischenden Sound-Effekte und ihre unverkennbare Stimme, die aus der Großansicht ihres Gesichts schallt.

Auf Youtube bloggt die US-Amerikanerin also über Sex. In ihren Videos zeigt sie nicht nur sich selbst, sondern auch Sexualität in Nahaufnahme. Über 1,5 Millionen User haben die junge Frau derzeit abonniert – bis zu sechs Millionen erreicht Green mit ihren populärsten Clips. Damit ist Green eine der bekanntesten Sex-Ed-Vlogger, „Sex Ed“ steht im englischsprachigen Raum für „Sex Education“ (zu Deutsch: „sexuelle Aufklärung“), im US-amerikanischen Raum, die Heranwachsenden Themen wie Selbstbefriedigung, Verhütung, Oralverkehr oder Geschlechtskrankheiten näher bringt. Auch spezifischere Themenfelder wie das Aussehen der weiblichen Vagina oder des männlichen Glieds, Schmerzen beim Sex oder BDSM werden angesprochen.
Laci Green ist auch abseits von Youtube keine Unbekannte. Vom Magazin Time wurde sie 2016 unter die 50 einflussreichsten Menschen des Internets gewählt. An der renommierten Berkeley University absolvierte Green ein Studium der Rechtswissenschaften und Pädagogik und neben ihrem Sex-Blog setzt sich die engagierte junge Frau unter anderen für Frauenrechte und gegen die allgegenwärtige Vergewaltigungskultur ein.

Der etwas andere Youtube-Content
Bei der virtuellen sexuellen Aufklärung produzieren oft Gleichaltrige für Gleichartige. Mit schwungvoller Musik unterlegt und bunt aufbereitet ist diese Form des Contents auch Ausdruck sexueller Selbstbestimmtheit und Freiheit. Auch im deutschsprachigen Raum werden derartige Inhalte immer populärer. Sucht man auf Youtube die Begriffskette „sexuelle Aufklärung“, so wird man mit einem ganzen Schwall von Clips beglückt. Das Drücken der Enter-Taste eröffnet einem binnen Sekunden immerhin über 4500 Ergebnisse. Da hat man als User erst mal die Qual der Wahl. Mit Video-Titeln wie „So wird Sex richtig gemacht“, „Sex – Eine Gebrauchsanweisung für Jugendliche“ oder „Was man über guten Sex wissen sollte“ soll Jugendlichen der gebotene Inhalt schmackhaft gemacht werden.

Während Pornografie im Internet an sich nichts Neues ist, hat sich mit diversen Kanälen auf Youtube für Jugendliche die Möglichkeit aufgetan, sich Antworten auf diverse intime Fragen sehr niederschwellig und vor allem anonym zu holen. Das dies ein Vorteil sein kann, liegt auf der Hand. Die Problematik, die damit in Verbindung steht, jedoch auch.

Wie aufgeklärt ist Österreichs Jugend?
Grundlegendes hat sich in den vergangenen zehn Jahren in puncto Aufgeklärtheit bei jugendlichen Mädchen und Burschen nicht verändert. Auch der Zeitpunkt des „ersten Mals“, ein nicht unwesentlicher Faktor in diesem Kontext, ist laut Studien annähernd gleich geblieben. „In der Gruppe der unter 14-Jährigen ist der Anteil der Jugendlichen mit ersten sexuellen Erfahrungen sogar leicht zurückgegangen“, so Nicole Kienzl, Paar- und Sexualtherapeutin in Wien.

Während vor zehn Jahren im Kontext der sexuellen Aufklärung jedoch noch Themen wie Verhütung oder Geschlechtskrankheiten boomten, sind es heute ganz andere Bereiche, die junge Frauen und Männer berühren. Informationen haben Jugendliche in Österreich ausreichend, im Laufe der Zeit haben sich jedoch neue Fragenzeichen aufgetan. „Ganz viele Fragen kommen aus dem Eck des Internets, genauer gesagt aus dem Bereich der Pornographie. Man sieht als junger Mensch Pornos, ist irritiert und hat Fragen“, beschreibt Wolfgang Kostenwein, Klinischer Sexologe und Leiter des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik. Auch technisierte Fragen, beispielsweise ‚Wie bläst man richtig‘ oder ‚Wie geht Analverkehr‘, kämen deutlich häufiger vor. „Viele Jugendliche gehen hier davon aus, dass das in Pornos Gezeigte eine Art Programmvorgabe ist, also, dass diese Dinge Teil von gutem Sex sind“, erklärt Kostenwein.

Sex – überall und immer verfügbar
Diese Entwicklung erklärt sich nicht zuletzt aus der Vielfalt an Informationsbeschaffungsmöglichkeiten, die Heranwachsenden heute zur Verfügung steht. Diese sind meist an das leicht zugängliche Medium Internet geknüpft und vermitteln den Jugendlichen daher schon früh ein Grundwissen über die technische Seite von Sex, Verhütung und Liebe. „Aufgrund der zahnlosen und de facto nicht funktionierenden Altersbeschränkungen der meisten einschlägigen Websites ist es für Kinder und Jugendliche sehr leicht, an pornographisches Material zu kommen“, erklärt Kienzl. Die Scheinwelt der Pornos gaukle der Therapeutin zufolge eine nicht reale Sexualwelt vor, mit der die Jugendlichen oft nicht klar kommen. Das „erste Mal“ werde daher oft zu einer stressigen Angelegenheit.

Laut Statistik Austria nutzen knapp 85 Prozent der 16 bis 24-Jährigen das Internet zuhause regelmäßig. Hinzu kommt die mobile Internetnutzung via Smartphone; Laptop, Tablet und Co. – hier sind es fast 98 Prozent. Die Gründe für das Surfen im Internet sind denkbar vielfältig: Neben dem Konsum von Nachrichten und der Nutzung sozialer Netzwerke ist die Suche nach gesundheitsbezogenen Informationen mit über 64 Prozent eine wichtige Online-Aktivität junger Menschen. Sexual-Inhalte spielen dabei eine wesentliche Rolle.

So geht aus einer Studie der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung ging 2012 hervor, dass 54,4 Prozent aller Burschen und 27 Prozent aller Mädchen zwischen dreizehn und 21 Jahren sich ihre Kenntnisse über Sex und Sexualität online aneignen. Zum Vergleich: Spitzenreiter bei den Quellen der Aufklärung ist die Schule. Dort informieren sich im Schnitt 84 Prozent über Intimes.

Kostenwein sieht diese Entwicklung gespalten: „Der Vorteil ist, dass man im Internet zu jedem Thema alles findet. Das ist gleichzeitig auch der Nachteil. Man hat keine Qualitätsgarantie im Netz“, so der Experte. Informationen im Web hätten zwar im Kern natürlich trotzdem eine Qualität, die Form der Aufbereitung dieses differenzierten Themas sei jedoch oft nicht angemessen. „Es ist nun mal ein sehr komplexes Thema und man muss lernen, wie man das für die Zielgruppe umsetzt. Diese Kompetenzen findet man selten auf Blogs oder generell im Internet. Es ist zwar eine hübsche Idee, wenn Gleichaltrige für Gleichaltrige produzieren – es wirft aber eben auch Kontroversen auf“, hält er fest.

So intim waren Vlogs noch nie
Der Reiz dieser Inhalte liegt laut Kienzl nicht zuletzt in ihrer Darbietungsweise. Im Unterschied zu normalen, geschriebenen Blogs würden YouTube-Videos sehr persönliche Botschaften einer real sichtbaren Person bieten, der man mehr Glauben schenke. Die Problemfelder seien daher die gleichen wie bei anderen Informationsquellen, die das Internet bietet. „Es gibt schlechte und gute Channels, welche mit guter (richtiger) Information und solche mit Halbwahrheiten oder Unsinn“, so Kienzl. „Die Möglichkeit, dass man im Internet jede Information bekommt, ist natürlich problematisch. Das ist nicht mit professioneller Aufklärungsarbeit zu vergleichen. Auch diverse YouTube-Kanäle nicht. Youtube-Kanäle sind auch nicht die primären Informationsquellen. Primär sind es die Pornos. Die sind zugänglich und benutzerfreundlich und sie sind lustvoll eingebettet und aufbereitet. Das ist natürlich viel interessanter für junge Menschen. Man will ja sehen, worum es wirklich geht“, ergänzt Kostenwein.

Die Folgen der unseriösen Aufklärung im Internet machen sich wiederum in Form von Verwirrungen und Fehlinformationen bezüglich der sexuellen Funktionalität, sexuellem Leistungsdruck und sexueller Anbahnung bemerkbar.

Spricht man als Erwachsener mit den Jugendlichen nicht darüber, sondern stattdessen über Dinge wie Krankheiten oder Verhütung, dann reiche das dem Psychologen zufolge nicht. Das Hauptinteresse bei der Zielgruppe sei eben ein anderes. „Wenn man in der Schule eine AIDS-Workshop macht und glaubt, das Thema Sexualität sei abgehakt, dann irrt man. Jugendliche holen sich Informationen immer dort, wo sie konkret sind – im Internet eben“, erklärt der Sexologe.

Eine zusätzliche Aufklärungsarbeit von Schulen und Eltern, die darauf abzielt gemeinsam mit den Jugendlichen die Porno-Industrie zu reflektieren, sei auch Kienzl zufolge vonnöten. „Ideal wäre eine Kombination aus Aufklärung durch die Eltern in Kombination mit Selbstaufklärung im Internet. Eltern, die mit YouTube nicht auf Kriegsfuß stehen – und ab und zu zusammen mit den Kindern geeignete Video-Channels durchsehen – haben gute Karten, dass das Ganze auch funktioniert.“

Wenn der Kontext fehlt
Während die Vielfalt der Informationen und vor allem der barriere- und schamfreie Zugang zu Aufklärungsvideos zu begrüßen ist, muss man sich auch die Frage nach dem verantwortungsvollen Umgang damit stellen. Wenn die kritische Auseinandersetzung oder jegliche Kontextualisierung fehlt, wird es gefährlich. In einer Welt, wo alles zugänglich geworden ist, sei der richtige Umgang mit Medien und Informationen laut Kostenwein wichtiger als je zuvor. „Ich glaube nicht, dass es darum gehen kann, Kinder davon fernzuhalten. Es ist aber faszinierend zu sehen, dass zwar fast alle Jugendliche Pornos sehen, jedoch nicht alle gleich damit umgehen. Es gibt welche, die sehen Pornos und sind davon irritiert und beeinträchtigt in ihrer eigenen Sexualität und dann gibt es andere, auf die es eine viel mildere Wirkung hat. Die sehen das als modernes Märchen. Das Gesehene ist für sie zwar maximal erregend, hat auf der Handlungsebene aber keine Wirkung“, so der Experte. Nicht nur Medienkompetenz, sondern auch die Verankerung in der einen Sexualität sei hier essentiell. „Die Eigenwahrnehmung ist relevant, denn wenn ich wenig Lustzugang habe, dann bekommen äußere Bilder eine große Macht und führen zu einer Beeinträchtigung.“

In der sexuellen Erziehung müsse es für das Kind darum gehen, in eine gute Körperlichkeit zu kommen. Die ersten zehn Lebensjahre seien hier entscheidend. „Man muss sie begleiten einen guten allgemeinen Körperzugang zu finden, das ist auch eine Unterstützung in der sexuellen Kompetenz. Wenn man zusätzlich noch eine gewisse emotionale Kompetenz hat, dann ist man gut ausgestattet und das Netz gar nicht mehr so relevant.“

Marlene Patsalidis